In einem Märtyrerdorf des Zweiten Weltkrieges ist es natürlich nicht selbstverständlich, deutsch-französische Beziehungen zu knüpfen.
Noch Mitte der 1990er Jahre war es in Maillé unvorstellbar, auf der Straße die deutsche Sprache zu hören oder ein Auto mit deutschem Nummernschild vor Augen zu haben. Um den Feind von gestern anders wahrzunehmen, war ein erster wichtiger Schritt, dass die deutsche Justiz neue Ermittlungen aufnimmt und der dafür zuständige Staatsanwalt in die Ortschaft kommt. Tatsächlich ist es die Persönlichkeit von Staatsanwalt Ulrich Maaβ und seine tiefe Betroffenheit im Gespräch mit den Überlebenden des Massakers gewesen, die ihnen, falls nötig, einen Beweis dafür lieferten, dass sich Deutsche auch heute noch schuldig fühlen, selbst wenn sie für die tragischen Ereignisse am 25. August 1944 keine Verantwortung tragen.
Das Land Nordrhein-Westfalen und Alpha e.V.
2009 wird der Bürgermeister von Maillé um seine Mitwirkung an einem deutsch-französischen Jugendaustausch gebeten. Dieses Projekt ist für Jugendliche und junge Erwachsene in besonders schwierigen sozialen, familiären oder juristischen Lebenssituationen gedacht und zielt darauf ab, diesen jungen Franzosen und Deutschen die Möglichkeit zu bieten, einander zu treffen und eine andere Sprache, eine andere Kultur kennenzulernen.
Ein weiteres Anliegen ist es, ihnen zu vermitteln, wie wichtig es ist, für den Frieden einzutreten und erneute gewaltsame Konflikte zu verhindern. Schwerpunkt ihres Aufenthaltes in Frankreich ist der Besuch der Maison du Souvenir und die Begegnung mit Überlebenden des Massakers von Maillé. Die jungen Leute nehmen auch an einem Workcamp teil (Bau von Möbelstücken, Arbeiten an einem Bach …). Bei einer feierlichen Zeremonie präsentieren sie ihre Arbeitsergebnisse vor einem Publikum aus Überlebenden, Kommunalpolitikern und Bewohnern.
Dieser Austausch findet seit 2010 jährlich in enger Zusammenarbeit mit dem deutschen Verein Alpha e.V. statt und bietet seither Anlass für zahlreiche Zeitungsartikel und Reportagen.
Bodenseekreis
2012 hat das Kulturreferat vom Bodenseekreis mit der Maison du Souvenir Kontakt aufgenommen, um gemeinsam eine deutsch-französische Ausstellung zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges zu gestalten.
In Briefen, die sechs Soldaten (drei Franzosen und drei Deutsche) während der kriegerischen Auseinandersetzungen an ihre Familien geschrieben haben, zeigt die Ausstellung, wie sehr sich die Erlebnisse von Soldaten auf beiden Seiten des Rheins, auf beiden Seiten im No man’s land ähnelten.
Die Ausstellung wurde im Abstand von wenigen Tagen in Deutschland und Frankreich eingeweiht und gleichzeitig in Kressbronn und in Maillé gezeigt. Ergebnis dieser fruchtbaren Zusammenarbeit in zwei Jahren Vorbereitungszeit zeigt auch ein 2014 im Anovi-Verlag erschienenes zweisprachiges Buch: 1914-1918 von beiden Seiten: Armand, Wilhelm und die Anderen. Kriegserfahrungen von Soldaten aus der Touraine und vom nördlichen Bodensee.
Gegen Vergessen & Pax Christi
2018 ist die Maison du Souvenir de Maillé mit den Vorbereitungen für die Feierlichkeiten des 25. August beschäftigt und lädt auch den Verein Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. dazu ein, an der Gedenkfeier teilzunehmen. Friedhelm Boll nimmt diese Einladung gerne an und für ihn ist es besonders wichtig, an diesem Tag die verantwortlichen Akteure für die Erinnerung an das Massaker kennenzulernen. Tief berührt von diesem Drama unternimmt er zahlreiche Initiativen, um die Geschichte von Maillé in Deutschland besser bekannt zu machen. Im Januar 2018 organisiert er für eine Delegation des Märtyrerdorfes einen Aufenthalt in Deutschland mit Vorträgen und Begegnungen.
Erstes Reiseziel ist Bonn mit einem Vortrag über Maillé vor etwa hundert Gymnasialschülern und danach Berlin mit einem Vortrag vor mehr als 450 Jugendlichen. Darüber hinaus wird die Delegation eingeladen, mehrere Leiter von Museen zur Nazi-Zeit zu treffen. Höhepunkt dieser Reise ist eine Begegnung mit dem deutschen Europa-Staatsminister Michael Roth, der verspricht, so bald wie möglich nach Maillé zu kommen.
Am 24. November 2018 kommt Michael Roth schließlich als erster Vertreter einer deutschen Regierung nach Maillé, um den 124 Opfern des Massakers Ehre zu erweisen. Bei diesem besonders symbolträchtigen und sehr bewegenden Anlass verleiht der deutsche Minister dem Vorsitzenden des Vereins Pour le Souvenir de Maillé das Bundesverdienstkreuz. Diese Auszeichnung bedeutet für ihn:
„(…) zugleich auch Verpflichtung für uns Deutsche, die Erinnerung an die grausamen Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus wachzuhalten. Maillé ist ein Ort der deutschen Schande, der leider immer noch viel zu wenigen meiner Landsleute bekannt ist.“ 1
1 Auszug der Rede von Michael Roth in Maillé am 24. November 2018.
2019 nimmt eine große deutsche Delegation an der diesjährigen Gedenkfeier teil. Sie setzt sich aus Vertretern von Gegen Vergessen e.V., Pax Christi und Amicale e.V. zusammen. Am nächsten Tag findet eine ganz besondere Veranstaltung statt: Einen ganzen Tag lang sind die Delegationsteilnehmer zu Gesprächen und Austausch mit den Überlebenden eingeladen und diese sehr berührenden Begegnungen hinterlassen tiefe Spuren bei allen Teilnehmern.