Ein problematisches Datum
Im Juni 1945 überlegt man im Gemeinderat, wie und vor allem wann eine Gedenkfeier für das Massaker feierlich gestaltet werden kann. Die Entscheidung fällt auf den 25. August selbst, wohl wissend, dass die Feierlichkeiten zur Befreiung von Paris am gleichen Tag die Gedenkfeiern in Maillé überschatten werden.
Wiederaufbau und Verschwinden der Spuren
In Oradour-sur-Glane entsteht bei den politischen Vertretern, vor Ort und landesweit, sofort ein Bewusstsein für den Ausnahmecharakter des Massakers. Aus dem Dorf im Limousin wird bald ein nationales Symbol für die Nazi-Barbarei, Maillé hingegen gerät recht schnell in Vergessenheit.
Mit der Zeit geht das Leben im Dorf ganz langsam wieder seinen Gang. Dank der Hilfe von Französisch-Äquatorialafrika wird sehr schnell die Schule wieder aufgebaut und das reiche amerikanische Ehepaar Kathleen und Girard Hale übernimmt die Patenschaft für das Dorf. Diese beiden Mäzene werden bald lebensnotwendige Güter nach Maillé bringen, unentbehrlich für den Alltag der Bewohner. Aus den USA lassen sie Bettwäsche, Möbel, Geschirr, Kleidung und Schuhe liefern … unauffindbar im Frankreich dieser Zeit.
Der zügige Wiederaufbau des Dorfes auf den Ruinen der tragischen Ereignisse lässt die Spuren des Massakers verschwinden. Die Gedenkfeiern finden fast ohne öffentliche Aufmerksamkeit statt, denn es fehlt an politischen Führungspersönlichkeiten. Schweigen legt sich über das Massaker. Es wird zum Tabuthema, selbst wenn es in allen Gemütern stets gegenwärtig bleibt.
Ein Prozess ohne jegliche Resonanz
Hinzu kommt, dass auch juristisch gesehen die Geschichte von Maillé in Schweigen gehüllt ist.
Oradour-sur-Glane bietet das von der SS-Division ‚Das Reich‘ verübte Massaker 1954 Anlass für einen bedeutenden medienwirksamen Prozess. Für Maillé jedoch wird nur ein untergeordneter Offizier, Leutnant Schlüter, zum Tode verurteilt … in Abwesenheit des Angeklagten.
Ein weiterer Beweis für die Geheimhaltung dieses Prozesses ist, dass die Überlebenden des Massakers erst 1994 davon erfahren.
1994: der 50. Jahrestag als Auslöser
Tatsächlich bekommt das Massaker erst mit dem 50. Jahrestag endlich öffentliche Aufmerksamkeit. In diesem Jahr entscheidet man sich in den Archiven des Departements Indre-et-Loire dafür, dem 25. August 1944 eine Ausstellung zu widmen. Diese wird im Gemeindesaal von Maillé ausgestellt, mit sehr großem Erfolg. Berührt von den Begegnungen mit den Überlebenden schlägt der Verantwortliche für die Konzeption dieser Ausstellung vor, einen Verein zu gründen und von den Ereignissen zu berichten.
1995 wird daher der Verein Pour le Souvenir de Maillé ins Leben gerufen, um die Erinnerung an das Massaker wach zu halten. Bei ihren Treffen fangen die Zeitzeugen erstmals an, einander ihre Geschichten zu erzählen. Beginn der 2000er Jahre werden sie gebeten, an zwei Dokumentarfilmen mitzuwirken: Maillé, das vergessene Massaker und Der andere 25. August.